Orgelgeschichtskunde


1.) Orgel als Wort
Letzte Quelle des Wortes ist griechisch organon und findet sich schon bei Plato in der Bedeutung: Werkzeug, Gerät, Instrument;  vergl. mit  griechisch organ: strotzen, schwellen, Hilfsmittel, Körperteil und übertragen auch als: Sinn, Empfindung, Empfänglichkeit gebraucht mit ablautenden Bildungen zum griechischen Stamm ergon: Werk, Dienst. Die als Femininum Singular aufgefasste Pluralform des kirchenlateinischen organum : Werkzeug, Instrument, Musikinstrument, Orgelwerk, Orgel  gleich organa , wandelt sich im althochdeutschen zu orgela (neben organa) und schließlich im mittelhochdeutschen zu orgel (neben organa, organe) und damit zum heutigen neuhochdeutschen Orgel, wobei, wie schon erwähnt die hypostasierte Pluralform für den Genuswechsel verantwortlich ist.

2.) Historik; Frühgeschichte
Den Ausgangspunkt für die Erfindung der Orgel bildete die Syrinx und Panpfeife, den Mythos dazu erzählt uns Ovid: Die Nymphe Syrinx hatte das Wohlgefallen des Hirtengottes Pan erregt. Seinem stürmischen Werben aber entzog sie sich durch Flucht. Helfende Najaden erretteten sie schließlich, indem sie die Nymphe in ein Schilfrohr verwandelten. Daraus nun schnitt sich Pan eine Flöte, deren Klang an das Klagen der Nymphe erinnerte.

In ihrer ursprünglichen Form war die Panpfeife ein Verbund von 1 bis 3 einseitig geschlossenen Bambusröhren, deren offenes Ende in gleicher Höhe lag. (...disparibus calamis compagine cerae inter se iunctis.) Durch die Mundstellung des Spielers wurde das Oberlabium, indem er mit etwas vorgestreckter Oberlippe über die Enden blies, gebildet. Für die erste Orgelpfeife musste sich der Erfinder zu allererst bemühen, eine präzise Tonbildung zu gewährleisten, etwa in der Art, wie sie heute noch bei Blockflöten üblich ist.

Spätantike Schriftsteller wie Tryphon, Vitruv, Plinius und  Heron von Alexandria nennen als Erfinder der Orgel, der Hydraulis (griechisch: hdraulos) den Mechaniker Ktesibios, der zur Zeit König Ptolemaios II. (+117 v. Chr.) in Alexandrien lebte. Ktesibios (circa 283--246  v. Chr.) erfand u.a. auch Musikautomaten, Feuerspritzen und Belagerungsmaschinen. Seine Gattin Thais wirkte als Organistin bei den beliebten öffentlichen Wettspielen.

Einzig und alleine Tertullian, der die Vorgänge des Seelenlebens mit dem kunstvollen Mechanismus der Orgel verglich, schreibt die Erfindung der Hydraulis Archimedes zu.: “specta portentosissimam Archimedes munificentiam, organum hydraulicum dico....(de anima S.14)

Auch Cicero, als erster römischer Autor, erwähnt den Hydraulos (Gespräche in Tusculum III,43), der zu einem unbestimmten Zeitpunkt in Rom Einzug hielt. Er muß das Instrument offenbar auf einer seiner Reisen durch Griechenland und Kleinasien (77-79 v. Chr.) kennen gelernt haben. In einer gegen Epikur gerichteten Polemik zählt er den Klang zu den äußeren Reizmitteln. „Ad hancine igitur vitam Telamonis illum revocabis, ut leves aegritudinem, et si quem tuorum adflictum maerore videris, huic acipenserem potius quam aliquem Socratcum libellum dabis, hydrauli hortabere ut audiat voces potius quam Platonis....?“ (Tusculum III, S. 43) , was soviel heißt wie: man solle einem kranken Freund eher einen guten Fisch mitbringen als eine Abhandlung von Sokrates; sollte ihn ermuntern, lieber den Klängen der Wasserorgel zu lauschen als den Worten Platos. 

Im folgenden Jahrhundert war die Orgel auch in Rom sehr beliebt. Die Hydraulis bildete einen festen Bestandteil im Instrumentarium, welches bei Festgelagen, Komödienaufführungen, Zirkusspielen und Gladiatorenkämpfen verwendet wurde. Und nicht nur dort, die Wasserorgel war als Mittel für unbeschwerten Zeitvertreib bestens bekannt und bei vergnüglichen Unterhaltungen am Platz. Kaiser Nero (54-68 n. Chr.) befasste sich noch kurz vor seinem Tod mit einem neuen Orgeltyp, von dem er sehr begeistert schien. Schließlich trug er sich ernsthaft mit dem Gedanken als, Orgelkünsltler öffentlich aufzutreten (der diesbezügliche Bericht findet sich bei Sueton).

Leider bleibt ungeklärt, welche Art der Verbesserungen „novi et ignoti generis“ er an der Wasserorgel angebracht hat. Dass die Orgel als Hausmusik und Zirkusinstrumentarium einen festen Platz hatte, und ein Instrument weltlicher Ausgelassenheit und roher heidnischer Zirkusspiele war, haben zahlreiche Darstellungen beschrieben. Ungewöhnlicher dagegen ist das Vorhandensein einer Wasserorgel bei der Militärmusik. Die Inschrift auf einem Steinsarg offenbart uns diese Historie. Ein festbesoldeter Regimentsorganist (hydraularius salariarius) der 2. Legion im ostpannonischen Lager Aquincum ließ den Steinsarg für seine verstorbene Gattin mit folgender Inschrift verzieren: „Clausa iacet lapidi coniunx pia cara Sabina, artibus edocta superabat sola matitum. Vox ei grata fuit, pulsabat police cordas, set cito rapta silet. Ter denos duxerat annos, heu male quinque minus, set plus tres me(n)ses habebat, bis septemque dies vixit. H(a)ec ipsa suprestes specata in populo hydraul(i)a(m) grata regebat. Sis felix quicumque leges, te numina cervent et pia voce cane: Aelia Sabina vale. T(itus) Ael(ius) Iustus, hydraularius salariarius leg(ionis) II ad(iutricis) coniungi faciendum curavit.“

„In diesem Steinsarg ruht meine Gattin, die Sanfte, treue, Sabina, die in den Künsten bewandert war, die die einzige war, die ihren Mann übertraf. Sie hatte eine liebe Stimme, mit ihren Fingern zupfte sie die Saiten, doch unerwartet (mir ) entrissen, schweigt sie jetzt. Sie lebte dreimal zehn Jahre, doch zu meinem Schmerz um fünf weniger, doch um drei Monate und vierzehn Tage länger. Sie selber verbleibt im Gedächtnis des Volkes, ihr Bild, wie sie auf der orgel lieblich spielte. Sei glücklich, singe mit frommer Stimme: Aelia Sabina, ich grüße dich.  Titus Aelius Iustus, honorierter Organist der legio II adiutrix, ließ (diesen Steinsarg) verfertigen.““ (zitiert, lateinisch und deutsch nach J. Szilágyi, CIL III, S.10501, Aquincum, Verlag der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, 1956. Übersetzt von Tilda Alpári)

Seit dem 2. Jhd. n. Chr.  war die Orgel als Luxusobjekt in der Oberschichte eingeführt. Sie nahm bei Gastmählern, Tafel- und Hausmusik in den höchsten Gesellschaftskreisen einen festen Platz ein.  Lt. A. Reichling (Orgel, S.50) hat das Keramikatelier des Possessors in Karthago (Tunesien) sogar kleine Öllämpchen für den täglichen Gebrauch in Form von Orgeln fabriziert. 

Anfang des 3. Jhdts. n. Chr. lernen wir erste festangestellte Tempelorganisten kennen. Zuvor waren die automatische Tempeltrompete und der singende Opferstock als selbsttätiges Wunder bei den Gläubigen beliebt. Der Dionydospriester M. Aurelius Cyrus stiftete 20.000 Denare als Kapital, von dessen Zinsen, 360 Denare als festes Gehalt „für einen Orgelspieler, der den Gott erweckt“(Bursians Jahresberichte, CXXIX, S. 195) ausgesetzt wurden.

Rund vierzig  zeitgenössische Darstellungen (Mosaike, Reliefs, Modelle, Vasen, Münzen) vermitteln ein anschauliches Bild von der äußeren Erscheinung der damaligen Orgel. Der römische Architekt Vitruvius Pollio, Zeitgenosse des Kaisers Augustus, beschreibt (de architectura X, S.13) einen hochentwickelten Orgeltyp mit 8 Registern und 2 Luftpumpen, mit einem Klang, der den Sinnen schmeichelt.

Heron von Alexandria (150 n. Chr.) berichtet über einen einfachen und wohl älteren Orgeltyp mit einem Register und einer Luftpumpe. (Pneumatica I, S. 42)

Archäologische Reste dreier realer Instrumente fanden sich 1865 und 1991 in Avenches (Aventicum/Schweiz, 3. Jhd. n. Chr. und erst 1996 identifiziert), 1931 in Aquincum bei Budapest laut Widmungstafel 228 n. Chr. Datiert und 1992 in Dion (Griechenland, 1. Jhd. v. Chr.). Andere Reste (z.B. aus Pompeji) sind lediglich dekorative Modelle von Orgeln. Trotz der großen Vielfalt an Materialien gibt es keine Widersprüche zwischen den Beschreibungen, Abbildungen und Funden. Nähere Konstruktionsdetails konnten geklärt werden, als man 1885 in Karthago ein Terrakottamodell ausgrub, welches heute im St. Louis-Museum von Karthago aufbewahrt wird. Der ins 2. Jhd. n. Chr. datierte Fund gibt uns etwa eine Vorstellung von den Maßen der Hydraulis. 1904 wurde durch F. W. Galpin eine Rekonstruktion angefertigt welche damit dem antiken Vorbild gerecht wurde.

Mittlealterliche Theoretiker unterschieden  zwischen organum hydraulicum (Wasserorgel) und terminologisch sehr irreführend organum pneumaticum (Balgorgel).

Die Bezeichnung Hydraulis war allerdings im  Laufe der Jahrhunderte derart gebräuchlich, dass sie auch für die Orgeln des neuen Balg-Systems verwendet wurde. Und In der Spätzeit des römischen Reiches auch noch verwendet wurde, wissen wir durch eine Psalmerklärung des Augustinus (enarr. In Ps. 14). Jedoch eindeutige Hinweise auf eine Balgorgel gibt ein Gedicht von Julianus Apostata (+363; Anthol, Palatina IX, S. 365). Die Kenntnis um die Funktionsweise der richtigen (echten) Hydraulen ging spätestens zur Zeit der Völkerwanderung verloren.

Ab dem  5. Jh., mit den Stürmen der Völkerwanderungen, versiegen die Quellen weströmischer Orgelgeschichte vollständig.

Dagegen blieb die Orgelkunst im oströmischen Reich erhalten, wurde aber zu einer besonderen Exklusivität des byzantinischen Kaiserhofes, der im übrigen stark religiösen Charakter trug. Schon Julianus Apostata (361-363) verfasste ein Epigramm auf die Orgel. Der zeitweilige Wahnsinn Justinus´II. (565-578) wurde durch stundenlanges Orgelspiel bekämpft. Theophilus (829-842) ließ zwei neue  große Orgeln aus Gold bauen und mit Edelsteinen verzieren. Michael III. (842-867), „der Trunkenbold“ verprasste den Reichtum und  ließ aus dem Gold der Orgeln Münzen für die Besoldung des Hofstaates prägen, aber sein Nachfolger Basilius I. (867-886) ließ sofort wieder Orgeln herstellen, da diese mittlerweile zu unabdingbaren Insignien der kaiserlichen Macht geworden waren.

Die Hofchronisten Konstantinopels erwähnen immer wieder voller Stolz die Orgeln bis hin zum letzten Kaiser Konstantin XI. (1448-1453) (Reichling, Orgel, S. 52)

Der oströmische Kaiser Konstantin V. Kopronymus von Byzanz (741-775) sandte dreimal Gesandtschaften zu König Pippin dem Kleinen (714-768), dem Sohn des Maurenbezwingers Karl Martell, nach Frankreich, um diesen in der Ikonoklasie auf seine Seite zu ziehen. Die zweite Gesandtschaft vom Jahre 757 brachte eine Orgel als Geschenk mit. Konstantin erreichte zwar seinen Zweck nicht, aber das kaiserliche Geschenk erregte gewaltiges Aufsehen. Alle zeitgenössischen Chroniken vermelden die Ankunft der Orgel am Hofe des Frankenkönigs als bemerkenswertestes Ereignis. Das kaiserliche Geschenk fand wahrscheinlich in der Corneliuskirche in Compiégne Aufstellung und wurde von einem italienischen Priester gespielt, der diese Kunst in Konstantinopel erlernt hatte.

812 kam eine Gesandtschaft aus Byzanz zu Kaiser Karl dem Großen nach Aachen. Auch sie brachten eine Orgel mit, um damit Kaiser Karl eine Akklamation im Stile des byzantinischen Kaiserhofes darbringen zu können. Diesbezüglich gibt es einen Bericht des Mönches von St. Gallen, der den Klang des Instrumentes mit der Kraft des Donners, der Lebhaftigkeit des Harfenspieles und die Weichheit des Geigentones beschreibt.

Die Handwerker Karls des Großen versuchten anschließend, die Orgel aus der Erinnerung nachzubauen. Durch die enge Verbindung Venedigs mit Konstantinopel ist es leicht erklärt, dass 826 der Priester Georgius aus Venedig für Kaiser Karl  dem Großen eine Palastorgel nach oströmischer Art (organum more Graecorum) baut. Kurz darauf rühmt sich auch, der seit 838 Abt von Reichenau, Walahfrid Strabo eines Orgelbesitzes. Er beschuldigt Byzanz (Reichling, Orgel, S.53) „zuviel Eitelkeit aus dem Besitz der Orgel gezogen zu haben: Die süße Melodie der Orgel habe auch in Aachen einer Frau die Sinne geraubt, weshalb der große König Ludwig der Fromme die Orgel nun nicht mehr zu den unerreichbaren Wunderdingen des Orients zählte. Die geradezu machtpolitische Bedeutung des Orgelbesitzes wird sowohl im Westen (Ermoldus Nigellus) als auch im Osten (Cedrenus und Zonaras) mehrfach betont.“

Aus dem hellenistischen Kulturraum drang die Orgel auch in die arabische Welt. Um 450 beschwerte sich Isaac von Antiochia in einem Gedicht in syrischer Sprache, er könne nachts wegen der laut dröhnenden Hydraulen in der Stadt nicht schlafen. (darunter sind sicher bereits schon Balgorgeln zu verstehen)

Auch in den islamischen Ländern mit den Zentren Bagdad, Kairo und Cordoba war die Orgel (Urgan) bekannt.

Neben den normalen byzantinischen Orgeln wurde 850 ein weiterer Orgeltyp beschrieben, der weit zu hören war und als Signalinstrument eingesetzt wurde.

3.)Anmerkungen
Heron spricht von luftdicht eingepassten Metallkolben, worunter wohl eine Art Kolbendichtung aus Leder zu verstehen ist. 

Die verschiedenen Registerreihen dienten möglicherweise nicht zur Erzeugung unterschiedlicher Klangfarben, sondern sie ermöglichten vielleicht das Spiel in verschiedenen Tonarten. Das ist aus der Textstelle (Anonymi scripto de musica, ed. Bellermann, 1841, N.28) abzuleiten. Demnach wären dies: hyperlydisch, hyperiastisch, lydisch, phrygisch, hypolydisch, hypophrygisch. In diesem Fall wäre ein gleichzeitiges Zusammenspiel der einzelnen Register nicht möglich gewesen. Als man jedoch die Orgel von Aquincum barg, waren alle vier Register gezogen. 

Der um 850 von Muristus beschriebene Orgeltyp, welcher mit dem Ktesibios-Gebläse arbeitete, wird wohl Lingualpfeifen gehabt haben. Jedoch sind die Quellen zu den arabischen Sonderentwicklungen und Anwendungen dieser Instrumente sehr dunkel. Sicher ist, dass sie als Signalinstrumente verwendet wurden. (man denke an Nebelhorn, etc.) 

Die Anweisungen über Herstellung und Bau von Pfeifen, Windladen und Gebläse beruhen auf praktischen Erfahrungen. Theophilus, Diversarum artium schedula (12. Jh.)

Zum Teil wurden auch akustische Fragen und Stimmungen sowie Mensuren behandelt. Sehr wenig weiß man über die Pfeifenherstellung. Nach J. P. Schindler waren die drei mal acht trichterförmigen Pfeifen der Theophilus - Orgel (C,D,E,F,G,A,B,H) mit den Fußtonlagen 2´, 11/3´,1´besetzt. (Das Komplement ergibt 4´)

Da die Registerschleifen sichtbare Spuren von Reparaturen und Lötungen tragen und die Federn mehrmals getauscht worden waren, liegt die Vermutung nahe, dass das Instrument häufig und lange in Verwendung war.

Ausmaße der Hydraulis:
3m hoch, 1,4m breit, 3 Pfeifenreihen, einer gedeckten und zwei offenen, die Grundton, Oktave und Doppeloktave angegeben haben dürften, zu je 19 Pfeifen. Die Länge der Tasten betrug etwa 200 mm, ihre breit 50mm.

Die Orgel von Aquincum umfasste vier Pfeifenreihen zu 13 pfeifen. Hans Haselböck berichtet (in „Von der Orgel und der musica sacra“ S. 12) über „sorgsame Materialwahl und gediegene Arbeit.  Die Kanzellen, Ventile und Abdeckplatten waren aus Messing hergestellt. Der Pfeifenstock bestand aus einer Zinn-Blei-Legierung und war auf der oberen Abdeckplatte der Windlade aufgegossen. Bei diesem Arbeitsvorgang waren gleich kurze Messinghülsen miteingegossen worden, in welche die Pfeifen gesteckt wurden. Die offenen Pfeifen besaßen Stimmringe, die gedeckten hatten Stöpsel. Die Pfeifen waren aus 0,5mm Messingblech gefertigt worden......die Windladen aus Fichtenholz hergestellt...... man verwendete für die Tastatur Ulmenholz. Die Tonschleifen waren mit römischen Zeichen von I bis XIII versehen, wahrscheinlich ein Hilfsmittel für den Zusammenbau.“

4.)Die Orgelgeschichte des Westens

Wie in I.)2.) schon erwähnt, war der venezianische Presbyter Georgius (9. Jhd.) der erste westliche Orgelbauer. Nicht zufällig war Georgius Geistlicher, denn wohl nur sie besaßen die nötige Schulung, um abgestimmte Pfeifenreihen und Tonmechaniken berechnen und herstellen zu können. Deshalb entstanden auch nachweisbar die ersten Kirchenorgeln in Klöstern.

Um keine Spekulationen zu betreiben, möchte ich sagen, dass der Weg der Orgel in die Kirche möglicherweise über den Umweg der musikpädagogischen Verwendung führte.

875 erbat sich Papst Johannes VII. eine Orgel samt Organisten für Unterrichtszwecke vom Bischof Anno von Freising.

Das früheste, bis jetzt  bekannt gewordene Dokument, das eindeutig von einer Kirchenorgel spricht, findet sich im Liber de temporibus von Albert Miliolus, wo unter dem Jahr 915 erwähnt wird, Graf Atto habe im Kloster zu Canusium nebst anderer Kirchenzierden eine Orgel erbauen lassen „et fieri fecit organa in dicto monasterio ad honorem confessoris“ (Monumenta Germanieae Historica, XXXI, S. 431)

Um 990 entstanden für die damalige Zeit Monumentalorgeln, besonders im angelsächsischen Raum. Man spricht von Orgeln mit 10 Pfeifenreihen zu je 40 Tönen, also 400 Pfeifen.  Laut William von Malmesbury baute Gerbert von Aurillac (+1003 als Papst Silvester) u.a. für die Kathedrale zu Reims eine Orgel. Nicht alle Überlieferungen sind vertrauenswürdig. (Augsburg 800, Reichenau 829) Gesichert sind jedoch die Daten der Orgelbauten in St. Ulrich und Afra/Augsburg, 1060; Kloster Weltenburg/Donau,1077 und Kloster Cava/ Salerno 1092.

Im 13. Jh. zog die Orgel endgültig in die Kirche ein. Dies wird bei Johannes Aegidius von Zamora (arsmusica, Kap.15/ 2. Hälfte des 13. Jhdts.) deutlich:  „organum est generale nomen vasorum omnium musicorum: specialiter est appropriatum instrumento ex multis composito fistulis sive cannis, cui folles, in sequentiis, & in hymnis“ [...Im Besonderen wird die Bezeichnung Organum verwendet für das Instrument mit den vielen Pfeifen, wofür Bälge gebraucht werden. Die Kirche benützt nur dieses eine Musikinstrument für verschiedene Gesänge, Porosen Sequenzen und Hymnen...]

Hochinteressant ist, dass der Einzug der Orgel in die Kirche von nicht einheitlichen Stimmen begleitet war. Die Synode von Mailand 1287 hieß die Orgel als einziges Gottesdienstinstrument gut, während das Generalkapitel zu Ferrara 1290 das Orgelspiel verbot! Unklar ist auch, welche Hauptaufgabe der Orgel vorher zukam.

Die Neuerungen des 13./14. Jhdts.,  Erfindung des Wellenbrettes, Steigerung der Windladenmaße über Armspannweiten und ein symmetrisches Erscheinungsbild der Orgel und damit wachsende klanglich-musikalische Möglichkeiten, hatten auch ein Abrücken der bisherigen starren Weitenmensur zur Folge.

Frühmittelalterliche Orgeln hatten gleiche Klaviatur (Tonschleifenteilung) wie Windladenteilung. Die Tonschleifen waren über die ganze Windlade verteilt.

Umstritten ist die Datierung der Erfindung des Pedals. Als früheste Vorstufe ist eine Niederhaltevorrichtung für tiefste Manualtasten und einzelne Sperrventile für Bordunpfeifen bekannt. Beispiele für selbständige Pedalklaviaturen sind im 14. Jh. Bekannt wie z. B. Sundre 1370 und Norrlanda/Florenz, 1379.

Die Zweimanualigkeit entstand im 15. Jh. durch den technischen Zusammenschluß einer großen Orgel und eines kleinen Positives. Hochmittelalterliche Orgeln kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie stets nur als Blockwerk gespielt werden konnten. Im 15. Jhd. begann man auch einzelne Register abziehbar (separat spielbar) zu machen, während der Rest als Hintersatz bestehen blieb. Der Vorteil von einzeln spielbaren Registern war derart einleuchtend, dass man bald alle Register abziehbar gestaltete.

Nun war die Orgel registrierbar. Einzig und alleine in den Mixturen lebt das Blockwerk typologisch bis heute noch weiter.

Bekannt waren textile Schutzhauben (domuncuale), welche mittels Seilzug über die offenen Pfeifen herabgelassen wurden. Erst im 14. Jhd. begann man hölzerne Gehäuse mit Flügeltüren zu bauen.  Die plastische Verformung der Pfeifenfront durch Trapez-, Rund- und Spitztürmen erfolgte im 15. Jhd..

1270 findet sich eine Aufzeichnung im Jüngeren Titurel Albrechts von Scharfenberg über den Aufstellungsort der Orgel. Der Platz war über dem Haupteingang an der Westempore der Kirche ausdrücklich erwähnt. Dennoch setzte sich im Spätmittelalter die Platzierung der Schwalbennester auf den Nordemporen durch.

5.) Die Orgel in der Musikgeschichte

Im Mittelalter (9-11Jhd.) aus der Verbindung von Choral als menschlichem Element, das der Christianisierung aus dem Mittelmeerraum in den Norden verpflanzt wurde, und klanglichen Musikpraktiken, insbesondere Orgel, ergab sich im frühen Mittelalter ein Spannungsfeld horizontaler und vertikaler Kräfte, das – entzündet and der Dissonanz- spätestens seit dem 9. Jhd. zur „artifiziellen Mehrstimmigkeit“ führte und die Möglichkeit einer fortschreitenden Entwicklung in ihr immer neu anbot und initiierte. Aus der permanenten Auseinandersetzung mit den jeweils erreichten kompositorischen Möglichkeiten resultieren die für die abendländische Musikgeschichte charakteristischen vielen Wellen „Neuer Musik“. Im frühen und hohen Mittelalter war Mehrstimmigkeit vertikaler Tropus im Sinne eines klanglichen Schmuckes. Der Name ist Organum, wohl im Blick auf die exakten Tonhöhen der Orgelpfeifen als Voraussetzung für das Zusammenfügen mehrerer Stimmen. Die Musica enchiriadis, ein anonymer Musiktraktat des 9. Jhdts. beschreibt als erste Quelle neben Parallelsingen in  Oktaven ein Quint- und ein Quartorganum. Beide sind an eine vorgegebene Stimme vox principalis oder cantus (ab dem13. Jhd. cantus firmus) gebunden. Er liegt als Hauptstimme oben.

Besonders die Orgel mit ihren Quint-Octavmixturen können den Cantus mit der Organalstimme des Quintorganums im sog. Organum-Klang begleiten. ( im Quartorganum beginnt die eigentliche (artifizielle) Mehrstimmigkeit, weil Tritoni vermieden werden.)

In der katholischen Kirchenmusik (musica sacra) steht traditionsgemäß der einstimmige, lateinische, liturgische Gesang, der Gregorianische Choral (Papst Gregor I. 590-604). Das Tridentinische Konzil (16.Jhd.) hatte eine Erneuerung des Chorals angeordnet; ein Ergebnis war die Editio Medicea von 1614. Der Choral, gesungen von der Schola, wurde in der Kirche von der Orgel begleitet bzw. er alternierte mit mehrstimmigem Orgelspiel (canto misto, canto spezzato statt canto puro, canto fermo). Nur die Capella de la sixtine in Rom blieb konsequent beim a-capella-Gesang ohne Orgel.

Neben dem Choral gab es in der kath. Kirchenmusik die Mehrstimmigkeit im alten Stil und im neuen (monodisch, konzertant, mit Generalbaß), die Orgelmusik und das Kirchenlied sowie sonstige geistliche Musik wie Oratorien, Kantaten, Sonaten und Concerti ecclesiastici usw.

Die Kirchenlieder gehen teilweise auf die alten lateinischen Lieder zurück, die in der Westkirche im 9. Jhd. mit der Einführung der Orgel aufgetauchten, hymnische Gesänge sind, welche man durch Kontrafraktur und Rhythmisierung erhalten wollte. Die Gemeinde sang nun einstimmig, auch im strophenweisen Wechsel mit der Orgel (alternatim-praxis) , ende dem 17.Jhd. auch mit Generalbassbegleitung, so in Johann Crüger : Praxis pietetis melica (Berlin 1647)

Wir erkennen auch schon bei Schütz ganz deutlich(1648) die Trennung in geistliche und weltliche „Chor“musik , wobei  Klaviermusik im Barock immer allgemein Musik für ein Tasteninstrument mit Klaviatur meinte. Klavier und Orgel wurden im Barock zentral (im 16. Jhd. noch die Laute) durch die Möglichkeit der Generalbassausführung. Also Orgel, Cembalo, Clavichord

Klingt das Clavichord beseelt, war das Cembalo das Übeinstrument für den Organisten zu Hause gedacht. Leider waren Pedalcembali sehr selten und die lang angehaltenen Töne klangen nicht durch. Die Grenzen der Orgelliteratur sind fließend, jedoch finden wir eindeutige Zuweisungen wie z.B. per organo...geistliche Musik war primär für Orgel, weltliche Musik für Cembalo. 

Der neue Stil bringt auch den Wechsel vom Cembalo zum Hammerklavier (ab etwa 1800 allgemein verbreitet). Auch wenn die technischen Möglichkeiten wie Tonrepetition, Gleichmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Mechanik, Klangfülle und Klangfarbe noch lange beschränkt bleiben, so führt doch das Piano-Forte zu einer neuen, kontrastreichen, lebendigen Ausdrucksweise und Anschlagskultur. Es wird zum Hauptinstrument der Klassik und des 19.Jhdts. (Hausmusik und Virtuosentum)

Diese Stilentwicklung führt auch zur exakten Trennung der Literatur für Orgel und Klavier. Die Orgel verliert in der Klassik völlig an Bedeutung durch die Starrheit des Tones und der barocken Klangfülle. So finden wir anfangs in der Hochromantik den Pedalflügel z. B. bei Schuhmann 1845.

So gewann die Orgel mit der zunehmenden Zuwendung zur älteren Musik im 19. Jhd. an Interesse und Bedeutung. Die Spätromantik mit Schuhmann op60 1855 und Liszt 1870 Praeludium und Fuge über BACH die bedeutendsten Orgelwerke Cesar Francks. Bruckner

Die romantische Klangvorstellungen ließen dabei, ausgehend von Georg Josef Abbé Vogler, den unbarocken Orgeltyp des 19. Jhdts. entstehen.

Hier kommt jetzt das Harmonium und all die anderen Orgelverwandeten Instrumente wie Akkordien, Mund-aeoline, Mundharmonika,

 

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